Die japanische Musikwelt hat so viele Facetten, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Manche Sänger oder Künstler schaffen es leider nicht, über die Grenzen Japans hinaus bekannt zu werden. Aber es gibt auch immer wieder das genaue Gegenteil – ein Breakout-Wonder entsteht und wird weltweit bekannt. Die geheimnisvolle Sängerin Ado ist genau so ein Fall, weltberühmt und doch anonym. Im Rahmen ihrer ersten Welttournee “Wish” machte Ado auch in Düsseldorf Station, dem Zentrum alles Japanischen in Deutschland. Ich durfte dank Crunchyroll live dabei sein und berichte im Folgenden von meinen Erlebnissen vor Ort.
Ein Meer von Menschen
Diese Metapher beschreibt das Bild, das sich mir bei meiner Ankunft schon in der S-Bahn bot. Bereits Stunden vor Einlass hatten sich unzählige Menschen vor der Mitsubishi Electric Halle versammelt. Die Schlange vor dem Merchandise-Stand fast ebenso riesig und quälend langsam. Später sollte ich das am eigenen Leib erfahren.
Anfangs hielt sich der Andrang trotz der großen Zahl noch in Grenzen. Als ich gegen 16 Uhr eintraf, konzentrierte sich das Gros der Menschen noch in der Nähe der Halleneingänge und um den Merchandisingwagen. Die Zufahrt zu den Parkplätzen war zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Nach gut einer Stunde stellte sich die Situation jedoch völlig anders dar.
Immer mehr Besucher strömten auf das Gelände und standen meist vor einem Rätsel. Denn lange Zeit wurde von der Security nicht oder nur unzureichend kommuniziert, wo man sich mit VIP-Ticket und wo man sich mit normalem Ticket anstellen sollte. Einmal habe ich eine Megaphondurchsage gehört, die für Klarheit hätte sorgen sollen. Sie wurde aber meines Wissens nicht wiederholt. Zu diesem Zeitpunkt war es zumindest für den hinteren Teil der zentralen Schlange noch möglich, zum VIP-Eingang B zu wechseln oder umgekehrt.
Kurz vor dem Einlass der VIPs wäre dies aber schon nicht mehr möglich gewesen, da sich die Menschenmassen inzwischen bis in die S-Bahn-Unterführung gestaut hatten und damit auch jeden Weg zum Parkplatz blockierten. Ich selbst beobachtete das Geschehen etwas abseits der Warteschlange, da ich noch auf mein Ticket warten musste. Aber ich war ehrlich erstaunt, als ich hörte, dass einige Fans seit mindestens sechs Uhr morgens vor der Halle ausharrten. Da einige Rettungsdecken aus Goldfolie dabei hatten, erschien mir diese Aussage durchaus glaubwürdig.
Der eigentliche Einlass verlief dann ohne größere Probleme. Dies auch deshalb, weil kurz nach 19 Uhr auch der ursprüngliche VIP-Eingang der Halle geöffnet wurde, um den Eingang A zu entlasten. Diese Gelegenheit nutzte dann auch ich, nachdem ich zuvor nach einiger Wartezeit mein Ticket erhalten und über eineinhalb Stunden in der Merchandiseschlange gestanden hatte, ohne wesentlich voranzukommen.
Ado – Starke Performance ohne Gesicht
In der Halle selbst hatte ich wohl einen der besten Plätze bekommen, die man sich vorstellen kann. Ich saß auf der Tribüne und mein Platz war in direkter Linie zum „Käfig“ von Ado, der sogenannten „Ado Box“. Gute Sicht war mir also während des gesamten Konzerts garantiert. In der Halle verteilten sich die vorher so erdrückend wirkenden Massen auch im Stehplatzbereich sehr gut. Durch die erhöhte Position der Tribüne gab es auch niemanden, der mir die Sicht versperrt hätte.
Sicht ist auch ein gutes Stichwort, wenn es um Ado geht. Sie ist ja bekannt dafür, dass sie bei Auftritten nie ihr Gesicht zeigt. Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch, weil das Gesicht doch so viel Emotionen transportiert. Aber ich muss sagen, dass diese Zweifel mit dem ersten Akkord des Konzerts verflogen sind.
Trotz der Tatsache, dass Ado nur als Schatten in ihrer Box zu sehen war, tat dies ihrer Wirkung keinen Abbruch. Im Gegenteil, ich empfand das Erlebnis insgesamt sogar als intensiver als bei vergleichbaren Konzerten, bei denen der Künstler deutlich zu sehen ist. Zum einen konnte ich mich so ganz auf Ados phänomenale Stimme konzentrieren, zum anderen wurde ihr Auftritt durch effektvolle Projektionen im Hintergrund ergänzt.
Ado selbst war natürlich alles andere als unsichtbar. Sie hat sich extrem verausgabt und eine Vielzahl von Tanzschritten ausgeführt, teilweise am Boden liegend oder springend. Dass sie dabei nur als Schatten zu sehen war, hat ihre Wirkung auf mich keineswegs geschmälert. Vielmehr empfand ich das Erlebnis dadurch als noch intensiver.
Ich ertappte mich sogar dabei, wie ich mir ihre jeweiligen Anime-Avatare einfach zu den Liedern hinzufügte. Nicht, dass das nötig gewesen wäre, denn Ados Stimme allein ist schon ein Erlebnis für sich, auch ohne das Gesicht hinter der Musik zu kennen.
Eine Person, viele Stimmen
Die Variation der Genres in Ados Stimme erinnert in ihrer Vielfalt ein wenig an die Vocaloid-Musik, mit deren Coverversionen sie zu singen begann. Allerdings hinkt der Vergleich ein wenig, denn hier ist es ein Mensch, der so viele Klangvariationen hervorbringt, und kein Computerprogramm. Im Laufe der Show schaffte es Ado immer wieder, ihre Klangfarbe nahezu komplett zu verändern. Von einer kreischenden Death-Metal- bis hin zu einer wunderschönen 80er Jahre Balladen-Stimme war alles dabei.
Ich kannte Ados Stimmvariation zwar schon vom Hören ihrer Songs im Netz, aber live ist das nochmal eine ganz andere Hausnummer. Das mag an sich für alle Sängerinnen und Sänger gelten, aber bei Ado habe ich den Unterschied zwischen digitaler Aufnahme und Live-Performance um ein Vielfaches höher empfunden. Es ist schwer in Worte zu fassen, deshalb kann ich nur jedem, der die Chance hat, sie live zu erleben, ans Herz legen, denn nur so kommt ihre Stimme voll zur Geltung.
Japan vs. Europa – ein Stimmungsvergleich
Ein Konzert eines japanischen Künstlers ist hierzulande immer etwas Besonderes, egal um wen es sich handelt. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens – wie eingangs schon kurz erwähnt – schaffen es längst nicht alle, über Japan oder den asiatischen Raum hinaus bekannt zu werden. Zweitens – und an sich viel banaler – die Sprachbarriere. Japanisch ist eine Sprache, zu der die meisten Menschen in Deutschland und im übrigen Europa so gut wie keinen Zugang haben. Selbst Fans von Anime oder Manga beherrschen diese Sprache in der Regel nicht, selbst wenn sie sie schon einmal gehört haben.
Düsseldorf ist hier eine große Ausnahme. In der Stadt leben und arbeiten viele Japaner. Es gibt unzählige japanische Geschäfte und authentische Restaurants. Letzteres hat wohl auch Ado gefallen, wie ein Kommentar von ihr während des Konzerts vermuten ließ. Ich war also gespannt, ob diese relative Nähe zu Japan das Konzerterlebnis positiv beeinflussen würde.
Als jemand, der schon oft Konzerte in Japan besucht hat, weiß ich, wie gerne das Publikum mitmacht und wie in einem Chor die Songtexte mitsingt. Das kann man in Europa aufgrund der Sprachbarriere natürlich nicht voraussetzen. Aber ich war positiv überrascht, dass das wohl überwiegend europäische Publikum es trotzdem geschafft hat, eine durchweg gute Stimmung zu erzeugen. Bei einigen Liedern wurde sogar aktiv mitgesungen.
Zumindest ein paar japanische Worte und natürlich die englischen Parts. Die Songtexte wurden auch oft hinter Ado projiziert, allerdings auf Japanisch und somit wohl für die meisten unlesbar. Als Ado jedoch zum Publikum sprach, wurde alles, was sie sagte, exakt ins Deutsche übersetzt. Die große Leinwand hinter ihr lieferte dazu “Untertitel”. Sie hat sich sogar die Mühe gemacht, ein paar Sätze auf Deutsch zu lernen, was ich persönlich sehr nett fand.
Insgesamt war die Stimmung während des gut 100-minütigen Konzerts trotzdem fast so gut wie bei einer vergleichbaren Veranstaltung in Japan. Ado hat ohnehin eine phänomenale Show abgeliefert, die in der japanischen Musikwelt sicherlich ihresgleichen sucht. Dennoch muss ich zugeben, dass es einen Moment gab, der mir persönlich ein wenig gegen den Strich ging.
Damit meine ich nicht Ado, sondern das Publikum. Als es um die Zugabe ging, reagierte das Publikum nicht so, wie ich es erwartet hatte. Anstatt „Ankōru“, das japanische Äquivalent zu „Encore“, zu skandieren, rief die Mehrheit das deutsche „Zugabe“. Mir blutete das Herz, als ich das hörte. Dies umso mehr, als ich von ähnlichen Konzerten auch hierzulande ganz anderes gewohnt bin.
Zumindest Englisch hätte ich erwartet. Und ich war nicht die Einzige, die das komisch fand. Auch meine direkte Sitznachbarin konnte nicht verstehen, warum das Publikum auf Deutsch skandierte. Letztendlich hat das aber die Zugabe von insgesamt vier Songs nicht verhindert und ich verbuche das als einzigen Stotterer an einem ansonsten perfekten Abend.
Fazit
Das Konzert von Ado in Düsseldorf war für mich insgesamt ein fast durchweg positives Erlebnis, das ich sicher nicht so schnell vergessen werde. Ado live zu erleben ist definitiv ein Highlight für sich. Ich kann nur jedem empfehlen, wenn sich die Gelegenheit bietet, eines ihrer Konzerte zu besuchen.
Auch wenn Ado nur als Schatten zu sehen war, hat das ihrer Wirkung nicht den geringsten Abbruch getan, sondern das Erlebnis meiner Meinung nach sogar noch intensiviert. Denn im Mittelpunkt stand ihre facettenreiche Stimme. Diese ist neben der Anonymität auch ihr größtes Markenzeichen. Abwechslung ist für Utaite (Coversänger) in Japan nichts Ungewöhnliches, aber Ado hat das auf eine neue Ebene gehoben. Von Death Metal bis hin zu 80’s Love Songs scheint sie jedes Genre zu beherrschen. Das gilt natürlich auch für ihre eigenen Songs, die längst den Großteil ihres Repertoires ausmachen.
Außerhalb Japans war dies definitiv das beste Konzert, das ich je besucht habe. Trotz kleinerer Probleme, die in Japan so nicht passiert wären, war es ein tolles Erlebnis. Jetzt kann ich nur hoffen, dass Ado bald wieder nach Deutschland kommt oder ich die Gelegenheit bekomme, sie noch einmal in Japan live zu erleben.
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